Norm-Updates 2023/2024 richtig umsetzen: ISO 9001 und ISO 45001 für Elektrotechnik, EMSR und Ex-Bereiche am Niederrhein

Die Anforderungen an Qualitäts- und Arbeitsschutzmanagementsysteme entwickeln sich kontinuierlich weiter – getrieben durch regulatorische Erwartungen, technologische Entwicklungen und die gestiegenen Ansprüche von Stakeholdern. Mit der DIN EN ISO 9001:2023 und der aktualisierten DIN ISO 45001:2024 rücken risikobasierte Denkweise, Prozessorientierung, Stakeholder-Kommunikation und ein wirksamer Arbeits- und Gesundheitsschutz noch stärker in den Mittelpunkt. Besonders für Industrieunternehmen am Niederrhein – darunter Chemparkbetreiber, Unternehmen der Chemie- und Pharmaindustrie sowie Raffinerien – sind diese Anpassungen relevant, weil sie unmittelbar Einfluss auf den Betrieb von Anlagen, den Umgang mit Dienstleistern und die Dokumentation im regulierten Umfeld haben.

Wesentliche Akzente der jüngsten Anpassungen liegen in:

  • der geschärften Integration von Risiken und Chancen in Strategie, Prozesse und Entscheidungen,

  • klareren Erwartungen an die Prozessführung über den gesamten Lebenszyklus (Planung, Betrieb, Überwachung, Verbesserung),

  • der systematischen Einbindung relevanter interessierter Parteien (Stakeholder) und ihrer Anforderungen,

  • einem ganzheitlichen Verständnis von Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz inklusive Lieferkette und Fremdfirmenmanagement.

Hinweis: Konsultieren Sie für verbindliche Details die Originalnormen und offiziellen Veröffentlichungen, z. B. das Deutsche Institut für Normung (www.din.de) sowie die Informationsseiten zur ISO 45001 beim Internationalen Normungsgremium. In der Qualitätsmanagementnorm wurden außerdem jüngst thematische Ergänzungen (u. a. Berücksichtigung von Klimawandelfaktoren) veröffentlicht; auch ISO 45001 wurde 2024 entsprechend aktualisiert. Die nachfolgenden Informationen konzentrieren sich auf die praktische Umsetzung in industriellen Umgebungen am Niederrhein.

Was ist neu – und was bedeutet es in der Praxis?

1) Risikobasierte Denkweise und Prozessorientierung

  • Erwartung an durchgängige Risikosteuerung: Risiken und Chancen sind nicht nur in der Unternehmensstrategie zu berücksichtigen, sondern messbar in konkrete Prozesse, KPIs und Maßnahmen zu überführen. Für Produktions-, Instandhaltungs- und EMSR-Prozesse heißt das: systematische Gefährdungs- und Risikoanalysen (z. B. HAZOP/What-if), klare Grenzwerte, hinterlegte Prüfintervalle und Freigabeschritte.

  • Prozessführung über den Lebenszyklus: Vom Engineering über Montage/Installation, Inbetriebnahme, Betrieb bis zur Änderung (Management of Change, MoC) sind Verantwortlichkeiten, Inputs/Outputs und Schnittstellen festgelegt. Dokumentierte Informationen müssen aktuell, versioniert und am Einsatzort verfügbar sein (z. B. Schaltpläne, Explosionsschutzdokumente, Prüfprotokolle).

  • Datenbasierte Wirksamkeitskontrolle: Trends (z. B. Störungen, Beinaheereignisse, Prüf- und Auditabweichungen) werden regelmäßig ausgewertet, um Prozesse nachzujustieren.

2) Stakeholder-Kommunikation

  • Systematische Ermittlung relevanter interessierter Parteien: Dazu zählen neben Behörden (z. B. Gewerbeaufsicht) auch Anwohner, Auftraggeber, Lieferanten, Fremdfirmen und Versicherer.

  • Strukturierte Kommunikationswege: Meldeketten, Eskalationspfade und Informationspflichten (intern/extern) sind definiert – insbesondere bei Ereignissen mit potenzieller Relevanz für Sicherheit, Umwelt oder Lieferfähigkeit.

  • Verstärkte Beachtung externer Faktoren: Die jüngsten Normhinweise machen deutlich, dass externe Kontexte (z. B. Klimarisiken, Energieversorgung, Lieferkettenstabilität) im Managementsystem betrachtet und in Notfall- und Business-Continuity-Planungen gespiegelt werden sollen.

3) Anforderungen an Arbeits- und Gesundheitsschutz (ISO 45001:2024)

  • Mitwirkung und Konsultation: Beschäftigte, Sicherheitsbeauftragte, Betriebsräte und Fremdfirmen werden planmäßig in Gefährdungsbeurteilungen, Maßnahmenfestlegung und Lessons Learned eingebunden.

  • Gefährdungsbeurteilung vertieft: Neben klassischen physischen Gefährdungen gewinnen ergonomische, psychische und organisatorische Faktoren an Bedeutung – inklusive Schichtarbeit, Schnittstellenarbeit und Fremdfirmeneinsatz.

  • Fremdfirmenmanagement: Für standortfremde Unternehmen sind Qualifikation, Unterweisung, Freigabe- und Permit-to-Work-Verfahren, Koordinationspflichten und Überwachung eindeutig geregelt. Dies betrifft besonders Montage-, EMSR- und Schaltschrankbauarbeiten.

  • Lieferkette und Beschaffung: Sicherheitsanforderungen an Komponenten (z. B. Ex-geschützte Betriebsmittel) und Dienstleister werden in Spezifikationen und Wareneingangs-/Abnahmeprozesse integriert.

4) Auswirkungen auf explosionsgefährdete Bereiche und DGUV V3

  • Explosionsschutz: Das Explosionsschutzdokument (nach geltender Rechtslage) bleibt Dreh- und Angelpunkt. Zonenklassifizierung, Zündquellenbewertung, Auswahl der Zündschutzarten (z. B. Ex d, Ex e, Ex i) sowie Instandhaltung nach den einschlägigen Regeln sind im Managementsystem verankert. Änderungen an Anlagen durchlaufen ein MoC mit Ex-relevanter Prüfung.

  • Elektrosicherheit nach DGUV Vorschrift 3: Prüfungen von elektrischen Anlagen und Betriebsmitteln erfolgen risikoorientiert in festgelegten Intervallen, durch befähigte Personen und mit nachvollziehbarer Dokumentation (z. B. nach DIN VDE 0105-100, DIN VDE 0113-1, DIN VDE 0701-0702, je nach Anwendungsfall). Das Managementsystem stellt sicher, dass Prüfpläne, Mängelbeseitigung und Wiedervorlagen funktionieren – auch für mobile Betriebsmittel und temporäre Baustromverteilungen.

  • Blitz- und Überspannungsschutz: In Chemie- und Raffinerieumgebungen ist die Verknüpfung von äußerem Blitzschutz, Potenzialausgleich und EMV/Überspannungsschutz sicherheitstechnisch wie qualitätsrelevant; regelmäßige Sicht-, Nah- und Detailprüfungen sind in die Instandhaltungsstrategie einzubetten.

Branchenspezifischer Fokus Niederrhein: Chemparks, Raffinerien, Pharma

Die Niederrheinschiene von Bonn bis Krefeld ist geprägt von Hochrisiko- und Hochverfügbarkeitsumgebungen: Chemparks (z. B. Dormagen, Krefeld-Uerdingen), große Raffineriestandorte im Raum Köln/Wesseling/Godorf sowie pharmazeutische Produktionsstätten. Hier treffen die Normneuerungen auf besondere Rahmenbedingungen:

  • Regulatorische Dichte: Neben ISO- und DIN-Anforderungen sind BetrSichV, GefStoffV, TRBS/TRGS, ATEX-Richtlinien sowie Betreiber- und Werksnormen zu berücksichtigen. Ein integrierter Managementsystemansatz vermeidet Doppelarbeiten und Widersprüche.

  • Schnittstellenarbeit: Instandhaltungs- und EMSR-Montagen mit mehreren Gewerken, Fremdfirmen und Werksdienstleistern erfordern klare Permit-to-Work-Verfahren, Freigaben (z. B. LOTO), und Kommunikationsdisziplin. Die stärkere Normbetonung auf Stakeholdern und Prozessen unterstützt die Praxis.

  • Dokumentation und Nachweisführung: Gerade in Ex-Bereichen und GxP-nahen Prozessen (Pharma) sind vollständige, versionssichere und auditfeste Dokumente entscheidend: von Schaltplänen und Schaltschrankdokumentation über Kalibrier- und Prüfprotokolle bis zu Abweichungsberichten und CAPA-Maßnahmen.

  • Resilienz und Energie: Klimabedingte Risiken (Hitze, Starkregen), Versorgungssicherheit und kritische Infrastrukturen verlangen robuste Notfall- und Wiederanlaufpläne, redundante Systeme und regelmäßige Übungen – inzwischen ausdrücklich im Blickfeld der Normen.

Für Betreiber bedeutet das: Qualitäts- und Arbeitsschutzmanagement sind nicht zwei parallele Silos, sondern greifen ineinander. Ein Beispiel: Eine DGUV V3-Abweichung an einem Motorabgang im Ex-Bereich ist sowohl ein Qualitäts- als auch ein Arbeitsschutzzwischenfall – sie beeinflusst Produktqualität, Anlagensicherheit und Menschenleben gleichermaßen. Managementsysteme sollten deshalb gemeinsame Ursachenanalysen, Maßnahmenverfolgung und Wirksamkeitskontrollen vorsehen.

Umsetzung: Von der Lückenanalyse zum wirksamen System

So bringen Sie Ihre Systeme praxisnah auf den aktuellen Stand:

1) Lückenanalyse und Roadmap

  • Abgleich Ihrer bestehenden Verfahren mit den aktualisierten Normanforderungen (inkl. jüngster Ergänzungen). Priorisierung nach Risiko und kritischen Prozessen (z. B. Ex-Zonen, Batchkonti, Infrastruktur).

  • Erstellung einer Roadmap mit Verantwortlichkeiten, Meilensteinen und Kennzahlen. Definieren Sie, welche Nachweise bis wann benötigt werden (z. B. modernisierte Prüf- und Freigabeformulare, aktualisierte Prozesslandkarte).

2) Prozesse schärfen und vereinfachen

  • Prozesslandkarte aktualisieren: Inputs/Outputs, Rollen, Schnittstellen, Kennzahlen. Besonderes Augenmerk auf MoC, Fremdfirmenmanagement, Prüf- und Kalibrierprozesse, Dokumentenlenkung.

  • Standardisierte Arbeitsfreigaben: Einheitliche Formblätter für Permit-to-Work, LOTO, Heißarbeiten, Ex-Freigaben. Digitale Workflows erhöhen Verfügbarkeit und Nachvollziehbarkeit.

  • Risikoregister pflegen: Operative Risiken (technisch, organisatorisch) mit Maßnahmen, Verantwortlichen, Fälligkeiten und Wirksamkeitsindikatoren.

3) Dokumentation und Nachweise

  • Dokumentierte Informationen zielgruppengerecht: Werkstatt/Anlage (kurz, visuell, aktuell), Engineering/Qualität (vollständig, versioniert), Management (kompakt, KPI-basiert).

  • Prüf- und Kalibrierpläne zentral: DGUV V3, Blitzschutz, EMSR-Kalibrierungen, Schutzprüfungen. Automatisierte Wiedervorlagen und Status-Dashboards vermeiden Fristversäumnisse.

  • Lieferanten- und Dienstleisterqualifizierung: Ex-Schaltschränke, Messstellen, Sensorik/Aktorik – mit eindeutigen Spezifikationen, Werksabnahmen (FAT), Montage- und Site-Acceptance-Tests (SAT), inklusive Ex-relevanter Nachweise.

4) Kompetenz, Unterweisung, Kultur

  • Rollenbezogene Qualifikationsmatrizen: befähigte Personen, Elektrofachkräfte, Ex-Fachkundige, SiGeKo, befähigte Blitzschutzprüfer u. a.

  • Unterweisungen risikoorientiert: Ex, LOTO, Arbeiten unter Spannung (grundsätzlich vermeiden, wenn nicht unvermeidbar und nur unter strikten Bedingungen), Höhenarbeiten, Heißarbeiten – immer in den Kontext der Prozesse und Freigaben eingebettet.

  • Lernen aus Ereignissen: Beinaheunfälle, Abweichungen und Auditfeststellungen systematisch analysieren und in Verbesserungsmaßnahmen überführen.

5) Integration mit Audits und Zertifizierung

  • Interne Audits thematisch ausrichten: Stakeholder-Kommunikation, MoC, Fremdfirmensteuerung, Ex-Dokumentation, DGUV V3-Nachweise, Wirksamkeit von Korrekturmaßnahmen.

  • Managementbewertung mit Kontext: externe Einflüsse (z. B. Klima- und Energieaspekte), Leistungskennzahlen, Ressourcen, Kompetenzlage, Lieferantenperformance.

  • Externe Zertifizierung planen: Stimmen Sie Übergangs- und Anpassungsfristen mit Ihrer Zertifizierungsgesellschaft ab. Bei Änderungen oder Ergänzungen gibt es üblicherweise Übergangszeiträume; die konkrete Umsetzung ist mit dem Zertifizierer zu klären. Hybrid- oder Vor-Ort-Audit? Stellen Sie sicher, dass alle kritischen Bereiche und Nachweise zugänglich sind.

Praktischer Tipp: Nutzen Sie Pilotbereiche (z. B. eine Anlage oder ein Teilbereich der EMSR-Instandhaltung), um aktualisierte Verfahren schlank zu testen. Erst nachweislich wirksame und praktikable Standards rollen Sie systematisch aus.

Praxisbezug Niederrhein: Elektrotechnik, EMSR und Schaltschrankbau im Fokus

Die Normanforderungen werden in der Elektrotechnik an Fassbarerem sichtbar als in vielen anderen Disziplinen. Relevante Beispiele:

  • EMSR-Montagen und -Installationen: Eindeutige Kennzeichnung (z. B. KKS), aktualisierte Schaltpläne, Prüf- und Kalibrierprotokolle, Atex-konforme Auswahl und Installation, sowie dokumentierte Inbetriebnahmen. Prozess- und Arbeitsschutzanforderungen greifen hier unmittelbar ineinander.

  • Schaltschrankbau (auch mit deutschlandweiter bzw. DACH-weiter Auslieferung): Konformität mit einschlägigen Normen (z. B. DIN EN 61439-Reihe), eindeutige Dokumentation, Typenschilder, Prüfprotokolle, ggf. Atex-geeignete Ausführungen und Begleitdokumente. Eine saubere FAT vor Versand reduziert Inbetriebnahmerisiken.

  • Blitzschutz: Regelmäßige Prüfungen und die Verzahnung mit Überspannungsschutz in sensiblen Produktionsbereichen senken Anlagenrisiken und Stillstandskosten – ein Thema, das in der Managementbewertung und im Risikoregister sichtbar sein sollte.

  • DGUV V3-Prüfmanagement: Ein zentrales, revisionssicheres System für Prüfpläne, Mängelbeseitigung, Nachweise und KPI-Tracking ist heute Stand guter Praxis. Es zeigt im Audit, dass Sie elektrische Risiken aktiv steuern.

Gerade in der Region zwischen Bonn und Krefeld, mit dichtem Netz an Chemie- und Raffineriestandorten, zahlt sich ein verlässliches Partnernetzwerk aus. Langjährig tätige, regional verankerte Fachfirmen mit Erfahrung in DAX-Umfeldern kennen die Werksregeln, Permit-Prozesse und Schnittstellen – und können Projekte über die gängigen Abrechnungssysteme der Auftraggeber sicher und compliance-konform abwickeln. Dies spart Einführungszeit, reduziert Koordinationsaufwand und erleichtert die Auditfähigkeit.

Weiterführende Quellen und Hinweise:

  • Deutsche Fassung und nationale Vorworte: Deutsches Institut für Normung – www.din.de

  • Internationaler Rahmen Arbeitsschutzmanagement: ISO 45001 (Occupational Health and Safety Management System) – Informationen auf der Website der ISO

  • Spezifische Fachregeln und technische Spezifikationen: aktuelle DIN/VDE-, TRBS- und DGUV-Veröffentlichungen je Anwendungsfall

Fazit für die Praxis: Die Neuerungen verlangen keine „Papier-Revolution“, sondern eine konsequente Schärfung Ihrer etablierten Systeme – mit messbarem Mehrwert für Sicherheit, Qualität und Verfügbarkeit. Wer risikoorientiert priorisiert, Schnittstellen sauber regelt, Nachweise lückenlos führt und aus Ereignissen lernt, ist für Audits und den betrieblichen Alltag am Niederrhein gleichermaßen gut aufgestellt.

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EMFV-Novelle 2024: Auditfeste Umsetzung in Chemie, Pharma, Raffinerien, Chemparks und Ex-Bereichen

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Zwei Wege, ein Ziel: Elektroingenieur und Elektromeister für auditfeste Elektrotechnik in Industrie- und Ex-Anlagen