EMF- und Ex-Sicherheit im Fokus: EMFV, DGUV V3, TRBS, VDE und ATEX entlang der Niederrheinschiene wirksam verzahnen
Die EMFV – Verordnung zum Schutz der Beschäftigten vor Gefährdungen durch elektromagnetische Felder – setzt die EU-Richtlinie 2013/35/EU in deutsches Recht um und verpflichtet Arbeitgeber, EMF-Expositionen systematisch zu beurteilen und zu beherrschen (EMFV: https://www.gesetze-im-internet.de/emfv/, EU-Richtlinie: https://eur-lex.europa.eu/eli/dir/2013/35/oj). In der aktuellen Auslegung – gestützt durch die TROS EMF der BAuA – liegt der Fokus auf einem risikobasierten Vorgehen: Es reicht nicht, Grenzwerte pauschal „einzuhalten“. Gefordert ist eine Expositionsbeurteilung, die die konkreten Arbeitsplätze, Tätigkeiten und Quellen berücksichtigt, flankiert von technischen und organisatorischen Schutzmaßnahmen (TROS EMF: https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regelwerk/TROS-EMF.html).
Für Betreiber in Chemie, Pharma, Raffinerien und Chemparks heißt das: EMF-Management wird fester Bestandteil der betrieblichen Organisation elektrischer Arbeiten und der Gefährdungsbeurteilung nach BetrSichV (https://www.gesetze-im-internet.de/betrsichv_2015/).
Dabei greifen mehrere Regelwerke ineinander:
DGUV Vorschrift 3 legt die Verantwortung für den sicheren Zustand elektrischer Anlagen und Betriebsmittel fest – inklusive geeigneter Prüfungen und befähigter Personen (https://publikationen.dguv.de/regelwerk/vorschriften/87/dguv-vorschrift-3-elektrische-anlagen-und-betriebsmittel).
TRBS 1201 konkretisiert Prüfarten, -umfänge und -dokumentation; TRBS 1203 präzisiert Qualifikationsanforderungen an „zur Prüfung befähigte Personen” (https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regelwerk/TRBS/TRBS.html).
DIN VDE 0105-100 regelt den sicheren Betrieb/Arbeitsablauf an elektrischen Anlagen (Freischalten, LOTO, Freigabeverfahren).
DIN EN 50499 liefert das Verfahren zur Bewertung von EMF-Expositionen für Beschäftigte.
In explosionsgefährdeten Bereichen kommen die ATEX-Betreiberpflichten (Richtlinie 1999/92/EG), die Zoneneinteilung und die Normenreihe DIN EN 60079-14/-17 für Planung, Errichtung und Prüfung hinzu. Die praktische Konsequenz: EMF- und Ex-Anforderungen müssen an Schnittstellen abgestimmt werden, etwa wenn Frequenzumrichter, Induktionssysteme, HF-Erwärmung oder Schweißarbeitsplätze in der Nähe von Ex-Zonen betrieben oder gewartet werden. Für die Niederrheinschiene von Bonn bis Krefeld – mit ihrer heterogenen Anlagenlandschaft aus Bestand und Neubau – ist die Verzahnung besonders relevant, weil häufig unterschiedliche Anlagenphilosophien, Normstände und Betreiberprozesse zusammentreffen.
Sichere Organisation elektrischer Arbeiten und EMF-Gefährdungsbeurteilung
Kernprinzip ist die organisatorische Steuerung risikobehafteter Tätigkeiten: freigabepflichtige Arbeiten, klare Rollen (Anlagen-/Arbeitsverantwortlicher) und die Anwendung der fünf Sicherheitsregeln nach DIN VDE 0105-100. Arbeiten unter Spannung sind in der Regel zu vermeiden und nur bei zwingender Notwendigkeit, mit spezifischer Befähigung und geeigneten Hilfsmitteln zulässig. In Ex-Bereichen gelten zusätzliche Restriktionen (ATEX, DIN EN 60079-14/-17), etwa zum Einsatz von Werkzeugen, Messgeräten und mobilen Kommunikationsmitteln.
Die EMF-Gefährdungsbeurteilung folgt dem in DIN EN 50499 beschriebenen Stufenmodell:
Identifikation von EMF-Quellen und Expositionsszenarien: z. B. Frequenzumrichter (Abstrahlung an Motorleitungen, Oberschwingungen, Ableitströme), Induktionsanwendungen (Erwärmen, Härten), HF-Erwärmung/Trocknung, Schweißarbeitsplätze (insb. MIG/MAG, WIG), Hochstromsammelschienen, Transformatoren, große Drosseln/Filter, RFID/Kommunikationssender.
Zuordnung zu Frequenzbereichen (statisch, Niederfrequenz, Hochfrequenz), Abschätzung der Felder nach Herstellerdaten, Berechnung oder Messung gemäß TROS EMF.
Bewertung gegenüber Auslösewerten und Expositionsgrenzwerten; Berücksichtigung besonders schutzbedürftiger Personen (z. B. Beschäftigte mit aktiven Implantaten) gemäß EMFV.
Festlegung von Maßnahmen nach dem STOP-Prinzip: Substitution/technische Maßnahmen (z. B. geschirmte Motorleitungen, EMV-Filter, dv/dt-Filter, metallische Führung, Erdung/Potentialausgleich), organisatorische Maßnahmen (Zugangssteuerung, Mindestabstände, zeitliche Begrenzung, Freigaben), persönliche Schutzausrüstung sofern geeignet (Hinweis: PSA hat bei EMF nur in engen Fällen Wirkung; primär wirken Distanz und Abschirmung).
Kennzeichnung und Dokumentation: EMF-Zonen mit Mindestabständen, Warnhinweise, Betriebsanweisungen.
Wichtig für Betreiber in Chemie- und Raffinerieumfeldern: EMF-Maßnahmen dürfen die Zündschutzmaßnahmen nicht kompromittieren. Abschirmungen und Filter sind so auszuwählen, dass sie keine unzulässigen Temperaturerhöhungen, Funkenbildung oder Störungen von Ex-Schutzsystemen verursachen. Ebenso ist die Funknutzung (WLAN, DECT, LTE/5G, RFID) in oder nahe Ex-Zonen nur nach Ex-Bewertung und Freigabe zulässig.
Dokumentationssichere Prüfkonzepte und Qualifikation
Ein robustes Prüfkonzept vereint die Anforderungen aus DGUV V3, BetrSichV/TRBS 1201, DIN VDE 0105-100 sowie – falls relevant – ATEX/DIN EN 60079-17. Praxisbewährt ist eine klare Trennung, aber enge Kopplung von:
Errichtungs-/Inbetriebnahmeprüfungen (z. B. nach DIN EN 61439 für Schaltgerätekombinationen, DIN EN 60204-1 für Maschinen) inklusive EMV/EMF-relevanter Nachweise nach Stand der Technik.
Wiederkehrenden Prüfungen elektrischer Anlagen und Betriebsmittel nach DGUV V3 und TRBS 1201 mit risikobasierter Fristenermittlung (Anlagenzustand, Umgebungsbedingungen, Expositionsszenarien).
Anlassbezogenen Prüfungen nach Änderungen, Instandsetzungen oder Ereignissen – mit dokumentierter Gefährdungsbeurteilung, die EMF-Änderungen (z. B. Austausch von Antrieben durch FU-Systeme) ausdrücklich aufgreift.
Ex-Prüfungen nach DIN EN 60079-17 (Detailgrad abhängig von Zonierung und Gerätetyp).
Dokumentationssicherheit gelingt, wenn Prüfpläne, Checklisten, Messprotokolle und Freigaben in einem konsistenten System geführt werden (idealerweise digital, auditfähig, versioniert). TRBS 1201 fordert nachvollziehbare Prüfinhalte, Bewertungsmaßstäbe und Ergebnisse; EMF-Bewertungen sollten dabei explizit mit Quelle, Methode (Berechnung/Messung), Messpunkten und Unsicherheiten dokumentiert sein. Für EMF-Messungen sind geeignete Messmittel und Kalibrierungen sowie die Fachkunde zur Interpretation erforderlich.
Die Qualifikation „zur Prüfung befähigte Person“ richtet sich nach TRBS 1203: erforderliche elektrotechnische Berufsausbildung, einschlägige Berufserfahrung und zeitnahe berufliche Tätigkeit inklusive Kenntnis der einschlägigen Normen. Für Prüfungen mit Ex-Bezug ist eine Befähigung für explosionsgefährdete Bereiche notwendig. Für EMF-Bewertungen sind zusätzlich Kenntnisse der EMFV, TROS EMF und DIN EN 50499 erforderlich. Für Schalthandlungen/Arbeitsverantwortung gelten die Rollen nach DIN VDE 0105-100 (Elektrofachkraft, elektrotechnisch unterwiesene Person, Anlagenverantwortlicher etc.). In DAX-Umfeldern bewährt sich ein Qualifikationsregister mit verknüpften Gültigkeiten, Schulungen und Autorisierungen – auditfest und rollenspezifisch.
Schnittstellenmanagement zu Ex-Zonen sowie Auswirkungen auf Schaltschrankbau und EMSR
An der Schnittstelle EMF/ATEX sind drei Risiken zu managen:
1) Zündgefahren durch elektrische/elektromagnetische Effekte (z. B. induzierte Ströme, Funkenbildung, heiße Oberflächen),
2) Funktionsbeeinflussung sicherheitsrelevanter Systeme (EMV),
3) organisatorische Wechselwirkungen (z. B. Freigabeverfahren, Zugang).
Bewährte Maßnahmen:
Strikte Auswahl Ex-geeigneter Werkzeuge/Messgeräte; Funkgeräte nur mit Ex-Zulassung oder außerhalb der Zone betreiben.
Erdung und Potentialausgleich konsequent planen und prüfen; ESD-Konzepte mit Ex-Schutz verzahnen.
Kabel- und Trassenführung für FU-Ausgänge konsequent geschirmt/erdend, physische Trennung zu Signal-/Ex-i-Kreisen; Einsatz von Filtern (RFI/dv/dt) unter Beachtung der Verlustleistung und Temperaturgrenzen.
Mindestabstände zu empfindlichen Sensoren/Aktoren, insbesondere in EMSR-Kreisen mit geringer Signalspannung.
Auswirkungen auf den Schaltschrankbau:
Nach DIN EN 61439 sind Wärmehaushalt, Kurzschlussfestigkeit und EMV systematisch nachzuweisen. Bei hohen Taktfrequenzen von Antrieben und großen Stromschienen steigt die EMF-Relevanz: optimierte Sammelschienenführung (eng gekoppelt, Hin-/Rückleiter dicht beieinander), metallische Einhausung, definierte Erdungspunkte reduzieren Felder.
Saubere Segmentierung von Leistungs- und Steuerungsebene, 360°-Schirmanschlüsse an Kabeleinführungen, metallische Montageplatten als HF-Referenz, Vermeidung von großen Schleifenflächen in Steuerkreisen.
In Nähe zu Ex-Zonen: Beachtung von Druckfestigkeit/Entlüftung, Zündquellenvermeidung an Gehäusedurchführungen, geeignete Barrieren zu Ex-i-Kreisen; der Schaltschrank selbst ist nur ex-geschützt auszuführen, wenn er in der Zone installiert wird – andernfalls gelten Abstands- und Schutzkonzepte.
Auswirkungen auf EMSR-Montagen:
Nach DIN EN 60204-1 und der 60079-Reihe sind Trennung, Abschirmung und Erdung die Hebel gegen Stör- und EMF-Einflüsse. Twisted-Pair/geschirmte Leitungen für Analogsignale, sternpunktförmige/definierte Erdungen, galvanische Trennungen und Filter vermeiden Kopplungen.
Planerisch EMF-Hotspots (z. B. FU-Schalträume, Induktionsanlagen) kartieren und in Montage-/Wegerechten berücksichtigen; sensible Messstellen räumlich separieren.
Für Inbetriebnahmen: Messkonzept zur Verifikation der Störsicherheit (Feldstärke-/Störstrommessung, funktionale Tests sicherheitsrelevanter Kreise), dokumentiert und rückverfolgbar.
Praxis: Checklistenansatz für Betreiber entlang der Niederrheinschiene
Governance und Verantwortung
Benennen Sie Rollen gemäß DIN VDE 0105-100 (Anlagenverantwortlicher, Arbeitsverantwortlicher) und nach TRBS 1203 befähigte Personen für Prüfungen – inkl. Ex- und EMF-Kompetenz.
Etablieren Sie ein zentrales Regelwerk/Standard für EMF- und Ex-Schnittstellen (Wer darf was, wo, womit?).
Führen Sie ein Qualifikations- und Autorisierungsregister, auditfest und systemgestützt.
Gefährdungsbeurteilung und Planung
Inventarisieren Sie EMF-Quellen (FU, Induktion, HF, Schweißen, Trafos, Sammelschienen) und ordnen Sie Arbeitsplätze zu.
Wenden Sie DIN EN 50499 an: Vorabschätzung, Berechnung/Messung, Bewertung; berücksichtigen Sie besonders schutzbedürftige Personen.
Stimmen Sie Ergebnisse mit der Ex-Zonierung (ATEX 1999/92/EG) ab; definieren Sie Mindestabstände, Zutrittsregelungen und Freigabeprozesse.
In Projekten (Neubau/Retrofit): EMF- und EMV-Anforderungen in Lastenheften verankern; für Schaltschrankbau DIN EN 61439-Nachweise, für Maschinen DIN EN 60204-1 fordern.
Durchführung von Arbeiten
Setzen Sie freigabepflichtige Tätigkeiten konsequent um (Permit-to-Work, LOTO, Freischaltprotokolle), insbesondere in/nahe Ex-Zonen.
Verwenden Sie nur zugelassene Mess- und Funkgeräte; prüfen Sie Ex-Eignung und EMF-Emissionen.
Minimieren Sie EMF-Exposition durch Distanz, Zeitbegrenzung und Abschirmung; markieren Sie EMF-Bereiche vor Ort.
Prüfkonzept und Dokumentation
Kombinieren Sie DGUV V3- und TRBS 1201-Prüfungen mit EMF-Nachweisen: klare Prüflisten, Messpunkte, Grenz-/Auslösewerte, Bewertungsmethodik.
Pflegen Sie ein digitales Anlagen- und Prüfregister (inkl. Ex-Register nach DIN EN 60079-17), versionssicher und revisionsfest.
Definieren Sie anlassbezogene Prüftrigger: FU-Nachrüstung, Layoutänderungen, Filter/Schirmungsanpassungen, Ereignisse.
Lieferanten- und Schnittstellenmanagement
Onboarding von Dienstleistern mit Qualifikationsnachweis (TRBS 1203), Ex-Schulungen und EMF-Kompetenz; klare Rollen im Freigabesystem.
Für Schaltschrankbau: verbindliche EMV/EMF-Designregeln (Schirmanschlüsse, Erdung, Leitungsführung, Filter) und Nachweise nach DIN EN 61439.
Für EMSR-Montagen: Vorgaben zu Trennung/Schirmung/Erdung und Verifikation; Schnittstellenklärung zu Ex-i-Kreisen.
Kennzahlen und kontinuierliche Verbesserung
Messen Sie Reifegrade (z. B. Anteil EMF-bewerteter Arbeitsplätze, fristgerechte Prüfungen, Abweichungsraten bei Audits).
Nutzen Sie Lessons Learned aus Inbetriebnahmen und Instandhaltung zur Anpassung von Abständen, Abschirmungen und Prüffristen.
Aus DAX-Umfeldern bewährt: standardisierte Verfahren, digitale Freigabe-Workflows, vordefinierte Mess-/Bewertungsmethoden und regelmäßige Cross-Audits zwischen Standorten.
Regionale Besonderheiten entlang der Niederrheinschiene
In Bestandsanlagen mit hohem FU-Anteil: frühzeitig EMF-Hotspots identifizieren, Trassen anpassen, Filter nachrüsten.
Bei Parallelbetrieb alter und neuer Standards: Übergangsregeln und klare Priorisierung der strengeren Anforderungen definieren.
Kooperation mit Standortgesellschaften/Chemparkbetreibern zur Harmonisierung von Freigaben, Funknutzung und Prüfkonzepten.
Weiterführende Quellen und Normen
EMFV – Verordnung zum Schutz der Beschäftigten vor Gefährdungen durch elektromagnetische Felder: https://www.gesetze-im-internet.de/emfv/
EU-Richtlinie 2013/35/EU (EMF): https://eur-lex.europa.eu/eli/dir/2013/35/oj
TROS EMF – Technische Regeln zur EMFV (BAuA): https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regelwerk/TROS-EMF.html
DGUV Vorschrift 3 – Elektrische Anlagen und Betriebsmittel: https://publikationen.dguv.de/regelwerk/vorschriften/87/dguv-vorschrift-3-elektrische-anlagen-und-betriebsmittel
Betriebssicherheitsverordnung – BetrSichV: https://www.gesetze-im-internet.de/betrsichv_2015/
TRBS 1201 (Prüfungen), TRBS 1203 (Befähigte Personen): https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regelwerk/TRBS/TRBS.html
DIN VDE 0105-100 (Betrieb von elektrischen Anlagen)
DIN EN 50499 (Bewertung der EMF-Exposition von Beschäftigten)
DIN EN 61439 (Niederspannungs-Schaltgerätekombinationen)
DIN EN 60204-1 (Sicherheit von Maschinen – Elektrische Ausrüstung)
ATEX: Richtlinie 1999/92/EG: https://eur-lex.europa.eu/eli/dir/1999/92/oj; DIN EN 60079-14/-17 (Explosionsfähige Atmosphären – Planung/Prüfung)