Amendment 1:2024 in ISO 9001 und ISO 45001 – Klimarisiken auditfest verankern für Chemparks, Raffinerien und Ex‑Bereiche am Niederrhein
Mit Amendment 1:2024 verankern ISO 9001 und ISO 45001 das Thema Klimawandel ausdrücklich im Managementsystem – ohne neue Kapitel, aber mit klaren Präzisierungen in Abschnitt 4:
- In 4.1 (Kontext der Organisation) ist zu bestimmen, ob und wie Klimawandel als externer Einfluss relevant ist.
- In 4.2 (Erfordernisse und Erwartungen interessierter Parteien) sind Anforderungen interessierter Parteien mit Blick auf klimabezogene Aspekte aufzunehmen.
Was wie eine kleine Textänderung aussieht, hat große Wirkung für Chemparks, Raffinerien, Pharma-/Chemie-Standorte sowie explosionsgefährdete Bereiche (Ex-Zonen). Denn die Kontextanalyse und die Stakeholder-Anforderungen sind die Basis für:
- risikobasiertes Denken und Maßnahmenplanung (ISO 9001/6.1, ISO 45001/6.1),
- operatives Steuern inkl. Lieferanten-/Fremdfirmenmanagement,
- Notfallvorsorge und -reaktion (ISO 45001/8.2),
- Wartungs- und Prüfplanung (z. B. nach DGUV Vorschrift 3 und TRBS 1201).
Entlang der Niederrheinschiene – mit Standorten in Flussnähe und dicht vernetzten Chemie- und Raffinerie-Clustern – sind klimabedingte Einflüsse konkret: Starkregen, Hochwasser, Hitzeperioden, häufigere Gewitter mit erhöhtem Blitzrisiko sowie Lieferkettenstörungen. Diese Faktoren betreffen EMSR-Montagen, Schaltschrankbau, Blitzschutz, elektrische Betriebsmittel in Ex-Zonen und die gesamte Instandhaltungs- sowie Prüfstrategie.
Relevanz für Chemparks, Raffinerien und Ex-Bereiche am Niederrhein
- Anlagenrobustheit und Ex-Schutz: Höhere Umgebungstemperaturen, veränderte Luftfeuchte und Korrosion beeinflussen Zündquellenbewertungen, Temperaturklassen, Oberflächentemperaturen und Lüftungskonzepte. In Ex-Zonen ist zu prüfen, ob die spezifizierten Umgebungstemperaturbereiche (z. B. -20…+40 °C) noch ausreichend sind und ob Gerätekennzeichnungen (inkl. Temperaturklasse und EPL) unter erhöhten Temperaturen sicher bleiben.
- EMSR- und Schaltschranktechnik: Leistungselektronik, Frequenzumrichter, Netzteile und Messumformer unterliegen Derating-Kurven. Bei Hitze häufen sich Ausfälle durch Überlast, beschleunigte Alterung von Komponenten und Kondensationsschäden nach Starkregen/Abkühlung. Schutzarten (IP), Gehäusematerialien und Beschichtungen gewinnen an Bedeutung; ebenso Lüftungs- und Kühlkonzepte, Filtermattenmanagement sowie Kondensatabführung.
- Blitz- und Überspannungsschutz: Zunehmende Gewitterhäufigkeit erfordert angepasste Risikoanalysen, Blitzschutzsysteme nach dem Stand der Technik (z. B. IEC 62305) und ausreichend dimensionierte Überspannungsschutzeinrichtungen – auch für Mess- und Kommunikationsschnittstellen.
- Prüf- und Wartungsregime: DGUV Vorschrift 3 und TRBS 1201 verlangen die wiederkehrende Prüfung elektrischer Anlagen/Betriebsmittel – und nach außergewöhnlichen Ereignissen (z. B. Überflutung, Brand, Überhitzung) zusätzliche Prüfungen. TRBS 1203 regelt die Befähigung der prüfenden Personen. Klimabedingte Sondersituationen sind als Auslöser für außerordentliche Prüfungen zu definieren.
- Lieferketten und Fremdfirmen: Materialverfügbarkeit (z. B. ATEX-zertifizierte Komponenten), verlängerte Lieferzeiten und witterungsabhängige Baustellenlogistik verlangen belastbare Eskalations- und Substitutionsstrategien. Fremdfirmenmanagement muss Arbeits- und Gesundheitsschutz bei Hitze, UV-Exposition, Gewitter oder Hochwasserereignissen explizit berücksichtigen.
Kurz: Klimafaktoren sind kein „CSR-Zusatz“, sondern technisch-operative Anforderungen – und künftig explizit Gegenstand interner und externer Audits.
So verankern Sie die Klima-Änderungen in Ihren Managementsystemen
1) Kontext und interessierte Parteien aktualisieren
- Ergänzen Sie Ihre SWOT- oder PESTLE-Analyse um konkrete Klimarisiken für Standorte entlang der Niederrheinschiene (z. B. Hochwasserkorridore, Hitzekarten, Gewitterhäufigkeit).
- Identifizieren Sie Erwartungen interessierter Parteien: Chempark-Betreiber, Behörden, Versicherer, DAX-Kunden, Nachbarschaft, Berufsgenossenschaften. Dokumentieren Sie klimabezogene Anforderungen (z. B. Mindest-Schutzniveaus, Wiederanlaufzeiten, Notfallübungen, Berichtswege).
2) Risiken und Chancen ableiten (ISO 9001/6.1, ISO 45001/6.1)
- Integrieren Sie klimabezogene Szenarien in Gefährdungsbeurteilungen, HAZOP/What-if, FMEA und Explosionsschutzbetrachtungen.
- Beispiele: Derating von Frequenzumrichtern bei 45 °C Umgebung, IP-Schutz bei Starkregen, ATEX-Temperaturklassen bei Hitzewellen, Batterie- und USV-Thermik, Korrosionsschutz in Außenanlagen, Auswirkungen von Überflutung auf Kabeltrassen und Erdungsanlagen.
- Legen Sie messbare Maßnahmen fest: zusätzliche Lüftung, Schattierung, Materialumstellungen, Redundanzen, sensorbasierte Zustandsüberwachung, verschärfte Inspektionsintervalle im Sommer.
3) Lieferanten- und Fremdfirmenmanagement anpassen
- Qualifizieren Sie Lieferanten auf Klima- und Ex-Robustheit: Nachweise zu Umgebungstemperaturbereichen, IP/IK, Korrosionsschutz, ATEX 2014/34/EU-Konformität, Obsoleszenz- und Lieferkettenkonzepte.
- Vereinbaren Sie klimabezogene Spezifikationen im Schaltschrankbau: Auslegung nach IEC 61439, Derating berücksichtigt, Kühl-/Belüftungskonzepte, Beschichtungssysteme, Kondensatmanagement.
- Integrieren Sie in Fremdfirmenprozesse (Erlaubnisscheinverfahren): Regeln zu Hitzearbeit, Trinken-/Schattenpausen, Gewitter-Stopps bei Dach-/Freileitungsarbeiten, Hochwasseralarmketten, PSA-Anforderungen; für Ex-Bereiche: Eigensicherheitsnachweise, ATEX-Schulungen, Werkzeuge/Werkstoffe geeignet für Zone 1/2 bzw. 21/22.
4) Notfallvorsorge und -reaktion stärken (ISO 45001/8.2)
- Ergänzen Sie Szenarien: Hitze, Starkregen/Überflutung, Blitz/Überspannung, längere Stromausfälle. Synchronisieren Sie diese mit Chempark-Alarm- und Gefahrenabwehrplänen.
- Planen und dokumentieren Sie Übungen: z. B. temporäre Außerbetriebnahme bei Unwetterwarnung, Wiederanlauf nach Wasserereignissen (Trocknung, Reinigung, Prüfung nach DGUV V3/TRBS 1201), Evakuierungsrouten bei Flutung.
- Definieren Sie Meldewege und Entscheidungsbefugnisse (Betrieb, Instandhaltung, HSE, Leitwarte).
5) Wartungs- und Prüfplanungen verknüpfen (DGUV V3, TRBS 1201/1203, BetrSichV)
- Ergänzen Sie Ihre Prüfmatrix um klimabedingte Trigger für außerordentliche Prüfungen (z. B. Überschreitung bestimmter Temperatur- oder Feuchte-Logger-Grenzen, Hochwassermeldungen, Blitzereignisse).
- Stellen Sie sicher, dass „zur Prüfung befähigte Personen“ (TRBS 1203) für klimabedingte Schadensbilder geschult sind (Feuchtefolgen, Isolationsalterung, Überspannung).
- Prüfen Sie Erdungs-/Potentialausgleichsanlagen, Blitzschutz (äußerer/innerer LPS), Überspannungsschutzgeräte, Schutzorgane (Sicherungen, LS/RCD), Gehäuse und Kabelabdichtungen. Dokumentieren Sie Messwerte, Fotos, Abweichungen und Fristen.
6) Auditfeste Nachweise erzeugen
- Dokumente: aktualisierte Kontext- und Stakeholderanalyse mit Klimabezug, Risikomatrix, Maßnahmenpläne, geänderte Spezifikationen/Lastenhefte, Arbeits- und Prüfanweisungen (mit Klimatriggern), Notfallpläne.
- Aufzeichnungen: DGUV V3-/TRBS 1201-Prüfprotokolle (inkl. „außerordentliche Prüfung“), Blitzschutzinspektionen, Instandhaltungsberichte, Kalibrierscheine, Freigaben für Ex-Anlagen, Schulungs- und Übungsnachweise.
- Managementbewertung: Status klimabezogener Ziele/KPIs (z. B. hitzebedingte Ausfälle, Mean Time Between Failures sommerkritischer Komponenten), Trendanalysen, Chancen (Energieeffizienz, Standzeitverlängerung) und Wirksamkeit der Maßnahmen.
Praxisnahe Beispiele aus EMSR, Schaltschrankbau und Ex-Schutz
- EMSR-Montagen in Ex-Zone 1: Für Feldgeräte werden Umgebungstemperaturbereiche auf +55 °C angehoben; Kabelverschraubungen und Dichtsysteme werden auf IP66/68 und chemische Beständigkeit zur Standortatmosphäre spezifiziert. Gaswarntechnik erhält temperatur- und feuchtekompensierte Kalibrierintervalle. Lüftungsüberwachung signalisiert unzulässige Temperaturanstiege in Anlagenräumen.
- Schaltschrankbau entlang der Niederrheinschiene: Schaltschränke nach IEC 61439 werden mit Derating-Berechnung für Leistungskomponenten ausgelegt. Ein aktives Kühlkonzept (z. B. Dachaufbau-Klimageräte) wird gegen passiv belüftete Ausführung abgewogen; Filtermatten erhalten saisonale Wartungsintervalle. Leiterplatten werden optional mit Schutzlack versehen, Gehäuse in korrosionsbeständigen Beschichtungen ausgeführt.
- DGUV V3/TRBS 1201 nach Starkregenereignis: Nach Wassereintritt in einem Kabelkeller erfolgt die außerordentliche Prüfung: Sichtkontrolle auf Feuchte- und Schlammspuren, Isolationsmessung, PE-Durchgängigkeit, RCD-Auslöseprüfung, Thermografie nach Wiederinbetriebnahme. Betroffene Klemmen werden ersetzt, Drehmomente dokumentiert. Ergebnisse fließen in die Gefährdungsbeurteilung und Maßnahmenplanung ein.
- Blitz- und Überspannungsschutz in Raffinerien: Auf Basis einer aktualisierten Risikoanalyse werden Fangeinrichtungen ertüchtigt, Trennungsabstände überprüft, SPD Typ 1/2 in Haupt- und Unterverteilungen sowie SPD für Mess-/Ethernet-Schnittstellen ergänzt. Wiederkehrende Prüfungen und Erdungsmessungen werden auf die Gewittersaison vorgezogen.
- Fremdfirmensteuerung im Chempark: Erlaubnisscheine verankern Klimaauflagen (Hitzeschutz, Gewitterwarnsysteme, Arbeiten in tiefliegenden Bereichen bei Hochwasserwarnung nur mit zusätzlicher Aufsicht). Für Ex-Arbeiten werden ATEX-Bescheinigungen, Werkzeuglisten und Qualifikationsnachweise gefordert; die Baustellenlogistik enthält Schlechtwetter-Umrüstpläne. So wird die Einhaltung von BetrSichV, TRBS und Chempark-Regelwerk unter Klimaaspekten nachweisbar.
Diese Beispiele zeigen: Qualitäts- und Arbeitsschutzmanagement werden zum verbindenden Rahmen, um klimabedingte Einflüsse auf Anlagen, Schutzkonzepte (ATEX/Explosionsschutz) und elektrische Betriebsmittel systematisch zu beherrschen – und die Wirksamkeit auditfest zu belegen.
Checkliste für DAX-Zulieferer und Betreiber – Klima-Änderungen pragmatisch umsetzen
- Kontextanalyse aktualisiert: Klimarisiken für Standort(e) an Rhein und Nebengewässern bewertet; Karten/Quellen referenziert; Annahmen dokumentiert (ISO 9001/4.1, ISO 45001/4.1).
- Interessierte Parteien ergänzt: Anforderungen von Chempark, BG, Behörden, Versicherern, Kunden zum Klimarisiko erfasst und in Prozesse überführt (4.2).
- Design- und Spezifikationschecks: Umgebungstemperaturbereiche, IP/IK, Korrosionsschutz, ATEX-Kennzeichnung, Derating-Nachweise, IEC 61439-Auslegung im Schaltschrankbau.
- Wartung/Prüfung: DGUV V3-Plan mit „außerordentlichen Prüfungen“ nach Klimaereignissen; TRBS 1201-Verfahren und TRBS 1203-Kompetenz nachgewiesen; Blitz-/Überspannungsschutz-Prüfungen terminiert.
- Fremdfirmenmanagement: Klimaauflagen in Erlaubnisscheinen; Ex-Qualifikationen geprüft; Notfall- und Räumungskonzepte abgestimmt; Hydrations-/Hitzepläne dokumentiert.
- Notfallorganisation: Szenarien Hitze/Überflutung/Blitz integriert; Übungen protokolliert; Wiederanlaufprozeduren mit Prüfpflichten (DGUV/TRBS) verknüpft.
- Lieferkette: Alternativen und Sicherheitsbestände für kritische ATEX-/EMSR-Komponenten; Bewertung von Lieferanten auf Klimaresilienz und Business Continuity.
- Überwachung und Wirksamkeit: KPIs (z. B. hitzebedingte Störungen, Überspannungsschäden, Feuchteeintritte), Trendberichte, Lessons Learned in die Managementbewertung eingebunden.
- Dokumente und Aufzeichnungen: Revisionsstände, Rückverfolgbarkeit und Verknüpfung zu Kap. 4, 6, 8 und 9 der Normen; Audit-Trail schlüssig.
- Interne Audits: Klimaaspekte im Auditprogramm; Probenahmen in Ex-Bereichen, EMR-Schaltanlagen, Außenfeldern und Blitzschutz; Abweichungen mit Fristen/Wirksamkeitskontrolle.
Rechtsgrundlagen und Quellen
- ISO 9001:2015 Amendment 1:2024 – Klimaergänzungen in 4.1/4.2
- ISO 45001:2018 Amendment 1:2024 – Klimaergänzungen in 4.1/4.2
- ISO/IAF-Hinweis 2024 zu Klimathemen in Managementsystemen
- DIN EN ISO 9001 und DIN EN ISO 45001 – nationale Übernahmen inkl. A1:2024, sobald verfügbar
- DGUV Vorschrift 3 – Elektrische Anlagen und Betriebsmittel
- Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV)
- TRBS 1201 – Prüfungen von Arbeitsmitteln und überwachungsbedürftigen Anlagen
- TRBS 1203 – Zur Prüfung befähigte Personen
- ATEX-Richtlinie 2014/34/EU – Bereitstellung explosionsschutzrelevanter Geräte und Schutzsysteme
- Ergänzend: ISO 45002:2023 – Leitfaden zur Umsetzung von ISO 45001
Mit diesen Bausteinen verankern Sie die Klima-Änderungen normkonform im Qualitäts- und Arbeitsschutzmanagement – und sichern die Funktionsfähigkeit Ihrer EMSR-, Schaltschrank- und Ex-Anlagen entlang der Niederrheinschiene auch unter veränderten Umweltbedingungen.