EMFV in der Praxis: Auditfeste Verzahnung mit DGUV V3, VDE und ATEX für Chemie-, Pharma- und Raffinerieanlagen
Die Arbeitsschutzverordnung zu elektromagnetischen Feldern (EMFV) setzt die EU-Richtlinie 2013/35/EU in deutsches Recht um und adressiert die Exposition von Beschäftigten gegenüber nieder- wie hochfrequenten Feldern. Für Betriebe in der Chemie-, Pharma- und Raffineriebranche – insbesondere mit explosionsgefährdeten Bereichen – ergeben sich daraus konkrete Anforderungen an Gefährdungsbeurteilung, Organisation, Messung/Berechnung, Dokumentation, Kennzeichnung und Unterweisung. Wesentlich ist die Verzahnung mit bestehenden Regelwerken: DGUV Vorschrift 3 (elektrische Sicherheit), BetrSichV einschließlich TRBS 2131 und TRBS 1201 sowie relevanten VDE-/IEC-Normen (u. a. DIN VDE 0105-100, DIN EN 61439, DIN EN IEC 60079-14/-17, EN 50499).
Was ändert sich in der Praxis?
Systematische Betrachtung der EMF-Exposition als eigener Gefährdungstatbestand: Screening, Bewertung und ggf. Messung/Berechnung nach EN 50499 und den TROS EMF.
Fokus auf Beschäftigte mit besonderem Risiko (z. B. aktive Implantate, medizinische Geräte, Schwangere) und entsprechende organisatorische Maßnahmen.
Klarere Anforderungen an Kennzeichnung, Abgrenzung und Unterweisung in Bereichen mit erhöhten Feldstärken, inklusive arbeitsorganisatorischer Maßnahmen nach DIN VDE 0105-100.
Engere Kopplung zur elektrischen Sicherheit: Prüfkonzepte (DGUV V3) und Prüfzyklen (TRBS 1201) sind an EMF-relevante Änderungen (z. B. neue Frequenzumrichter oder Campusnetze) anzupassen.
In Ex-Bereichen: Abgleich mit ATEX-Anforderungen, um zu vermeiden, dass EMF-Quellen mittelbar Zündrisiken erhöhen (z. B. durch induzierte Ströme, Funkenbildung oder Temperaturerhöhung an metallischen Strukturen).
Empfehlung zur Struktur: Integrieren Sie die EMF-Bewertung in Ihre bestehende Gefährdungsbeurteilung und das Permit-to-Work-System; legen Sie Verantwortlichkeiten (VEFK/Anlagenverantwortliche nach DIN VDE 0105-100) fest; kombinieren Sie EMF-Maßnahmen mit elektrischer Sicherheit und Ex-Schutz.
Typische Expositionsszenarien und Bewertung: vom Schweißen bis zum 5G-/WLAN-Campusnetz
EN 50499 und die TROS EMF sehen ein zweistufiges Vorgehen vor: zunächst eine orientierende Bewertung (Screening), dann – falls erforderlich – detaillierte Messungen oder Berechnungen. Für die nachfolgenden Szenarien gilt: Felder können magnetisch (Niederfrequenz, hohe Ströme), elektrisch (Hochspannung) oder hochfrequent (Funk) dominieren. Zeitliche Mittelung, Betriebszustände (Volllast, Anlauf, Störung) und Aufenthaltsdauer sind entscheidend.
Schweißarbeitsplätze (Lichtbogen-/Widerstandsschweißen)
Typisch: sehr hohe Schweißströme, häufig 50 Hz bis einige 100 kHz. Starke magnetische Felder im Nahbereich von Leitern, Zangen, Kabeln.
Praxis: Kabel eng zusammenführen, Rückleiter nahe am Hinleiter, Körperferne Kabelverlegung; minimieren Sie Aufenthalt im Nahfeld, nutzen Sie Hilfsmittel zur Positionierung.
Bewertung: Screening mit Herstellerangaben und Richtwerttabellen (TROS EMF). Bei unklarer Situation Messung mit geeigneten Sonden; besondere Vorsicht bei Trägern aktiver Implantate.
Induktionserwärmung/Induktionslöten
Typisch: mittlere Frequenzen (kHz-Bereich), hohe Ströme – starke magnetische Felder am Induktor und Werkstück.
Praxis: Abschirmung, Mindestabstände, Einhausung; zeitliche Exposition begrenzen; Zugang nur für unterwiesene Personen.
Bewertung: Berechnungen können aussagekräftig sein, wenn Geometrie/Frequenz bekannt ist; dennoch sind Validierungsmessungen empfehlenswert.
Frequenzumrichter (FU) und angetriebene Motoren
Typisch: Taktfrequenzen im kHz-Bereich, Oberschwingungen; lokale Felder an Leitungen, Schaltschränken, Motoranschlüssen.
Praxis: EMV-gerechte Verdrahtung (kurze Motorleitungen, Schirmung, Erdung), Filterkonzepte, geordnete Kabelführung; Berücksichtigung in der Schaltschrankplanung nach DIN EN 61439.
Bewertung: In der Regel genügt ein Screening; Messungen bei engen Arbeitsplätzen oder sensiblen Personengruppen.
Hochstromschienen/Sammelschienen und Ortsnetztrafos
Typisch: 50 Hz, hohe Ströme – ausgeprägte magnetische Felder im Nahbereich.
Praxis: Abstände definieren und kennzeichnen, Aufenthaltsdauer minimieren, planvolle Wegeführung; bei Neuplanung Leiterführung so wählen, dass Feldkompensation unterstützt wird.
Bewertung: Berechnung anhand Geometrie/Ströme liefert gute erste Abschätzung; Messungen bei komplexen Verläufen oder Mehrsystemen.
5G-/WLAN-Campusnetze, RFID und Funk
Typisch: GHz-Bereich; Exposition in der Regel gering, kritische Bereiche im unmittelbaren Antennennahfeld möglich.
Praxis: Antennenstandorte dokumentieren, Sendeleistungen/Beamforming berücksichtigen; Mindestabstände und Zutrittsregelungen bei hohen EIRP-Werten; Koordination mit Betreiber/IT.
Bewertung: Berechnung nach TROS EMF/EN 50499 oft ausreichend; Bestätigungsmessungen bei dichten Antennenclustern oder erhöhten Sendeleistungen.
Hinweis zur Methodik Messung vs. Berechnung:
Berechnung ist effizient bei definierten Frequenzen, Geometrien und linearem Betrieb (z. B. 50 Hz-Schienen, stationäre Funkantennen).
Messung ist vorzuziehen bei nichtlinearen Lasten (Schweißgeräte, FU mit variabler Taktung), wechselnden Betriebszuständen oder räumlich beengten Arbeitsplätzen.
Dokumentieren Sie Annahmen, Betriebszustände und Unsicherheiten; halten Sie Kalibrier- und Prüfmittelverwaltung im Sinne von TRBS 1201 nach.
Ex-Bereiche: Schnittstellen zu ATEX, Prüfzyklen und Ex-Inspektionen
In explosionsgefährdeten Bereichen müssen EMF-Aspekte in das ATEX-Management integriert werden, ohne den Zündschutz zu kompromittieren.
Kernpunkte der Schnittstellen:
Planung/Installation (DIN EN IEC 60079-14): EMV-gerechte Leitungsführung, Schirmung und Potenzialausgleich so gestalten, dass keine unzulässige Kopplung in Ex-Stromkreise entsteht. Hochfrequente Quellen (z. B. FU, Funk) in der Nähe von langen Leitungen kritisch bewerten.
Inspektion/Wartung (DIN EN IEC 60079-17): EMF-relevante Änderungen (neue Funkzellen, Umbau Antriebe, Induktionsanlagen) in die Ex-Inspektionsplanung aufnehmen; bei periodischen Sicht-, Nah- und Detailprüfungen auf Kabelschirme, Klemmen, Erdung und mechanische Integrität achten.
Arbeitsfreigabe: Schweißarbeiten und Induktionserwärmung in Ex-Zonen nur nach Freimessung und gültigem Erlaubnisschein; Integration spezifischer EMF-Hinweise (Mindestabstände, zeitliche Begrenzung, Personengruppen).
Geräteauswahl: Für Funk in Ex-Zonen nur zugelassene Endgeräte/Antennen verwenden; Sendeleistung und Montageposition an Zoneneinteilung ausrichten; mit dem Hersteller klären, ob Zusatzschutzmaßnahmen erforderlich sind.
Personen mit besonderem Risiko: Für Träger aktiver Implantate sind Ex-Zonen mit starken magnetischen Feldern (z. B. an 50 Hz-Schienen oder Induktionsarbeitsplätzen) besonders zu bewerten; ggf. Beschäftigungsbeschränkungen und alternative Arbeitsplätze festlegen.
Prüfzyklen und Nachweise:
Verknüpfen Sie EMF-relevante Änderungen mit der wiederkehrenden Prüfung nach DGUV Vorschrift 3 und den Prüfungen nach TRBS 1201. Eine geänderte Feldsituation (z. B. neuer FU-Schrank, zusätzliche 5G-Antenne) ist ein auslösender Faktor für die Überprüfung der Gefährdungsbeurteilung.
Dokumentieren Sie in der Betriebsanweisung die EMF-spezifischen Schutzmaßnahmen und verweisen Sie auf die Zoneneinteilung (ATEX) sowie die Verantwortlichkeiten nach DIN VDE 0105-100.
Organisatorische Maßnahmen nach DIN VDE 0105-100:
Verantwortlichkeiten: Bestellen Sie eine verantwortliche Elektrofachkraft (VEFK); definieren Sie Anlagen-, Arbeits- und Auftragsverantwortung.
Arbeitsverfahren: Wählen Sie Arbeiten im spannungsfreien Zustand; für Ausnahmen (AuS/Nähe) sind zusätzliche Schutzmaßnahmen und Qualifikationen zwingend.
Unterweisung: Mindestens jährlich, mit EMF-spezifischen Inhalten (Gefahrenbild, Zonen, Schilder, Verhalten, Personengruppen).
Kennzeichnung und Zutritt: Warn- und Verbotsschilder nach anerkannten Standards einsetzen; Bereiche mit erhöhten Feldern räumlich oder organisatorisch abgrenzen.
Praxis-Checklisten für Implementierung und Audit-Sicherheit
Checkliste EMF-Implementierung (allgemein)
Bestandsaufnahme: Erfassen Sie EMF-Quellen (Schweißstellen, Induktionsanlagen, FU/Motoren, Hochstromschienen, Funkantennen, RFID).
Screening nach EN 50499/TROS EMF: Frequenzen, Leistungen/Ströme, Geometrien, Aufenthaltszeiten.
Risikogruppen: Verfahren für Beschäftigte mit Implantaten und Schwangere etablieren; vertrauliche Meldemöglichkeiten schaffen.
Entscheidung Messung vs. Berechnung: Kriterien dokumentieren; Messplanung mit repräsentativen Lastfällen und Betriebszuständen.
Maßnahmenmatrix: Technische (Abschirmung, Schirmung, Abstände), organisatorische (Zutrittssteuerung, Zeitbegrenzung), personenbezogene (Unterweisung, PSA wo sinnvoll) Maßnahmen festlegen.
Kennzeichnung: Mindestabstände und Zonen markieren; Betriebsanweisungen aushängen.
Unterweisung: Inhalte, Teilnehmer, Intervalle, Wirksamkeitskontrolle; spezifische Einweisung für Fremdfirmen.
Integration in Managementsysteme: Verknüpfung mit DGUV V3, BetrSichV/ArbSchG, Permit-to-Work, Change-Management (MOC).
Wirksamkeitskontrolle: Regelmäßige Audits, Stichprobenmessungen, Ereignis-/Beinaheereignis-Analyse; Prüfmittelüberwachung.
Checkliste Schweißarbeitsplätze
Kabelbündelung Hin-/Rückleiter; Vermeidung von Schlaufen.
Arbeitsplätze so gestalten, dass Körperferne zu stromführenden Teilen maximiert wird.
Unterweisung zu Feldexposition und sicheren Körperhaltungen.
Mess- oder Berechnungsnachweis bei langandauernden Tätigkeiten oder beengten Bereichen.
Checkliste Induktionserwärmung
Abschirmungen und Einhausungen prüfen; Mindestabstände festschreiben.
Betriebsmodi dokumentieren (Leistung, Frequenz, Takt).
Zugang nur unterwiesenes Personal; Freigabeprozess für Rüst- und Wartungsarbeiten.
Checkliste Frequenzumrichter/Schaltschrankbau
VDE-konforme Schirmung/Erdung; kurze, geschirmte Motorleitungen; Filtereinsatz prüfen.
Wärme- und EMF-Aspekte in der Auslegung nach DIN EN 61439 berücksichtigen.
Nachrüstungen als MOC anstoßen; EMF-Screening aktualisieren.
Checkliste Hochstromschienen/50 Hz
Mindestabstände und Wegeführung definieren; Markierung am Boden/Schrank.
Aufenthaltsdauer regeln; organisatorische Barrieren.
Messung bei Mehrsystemen oder ungewöhnlichen Geometrien.
Checkliste 5G-/WLAN-Campusnetze
Antennenplan, Sendeleistung, Betriebsprofile dokumentieren.
Mindestabstände festlegen; Zutrittsregelung und Kennzeichnung.
Koordination mit Betreiber/IT; Störfall- und Wartungsszenarien berücksichtigen.
Checkliste Ex-Bereiche
EMF-Quellen in Zoneneinteilungen und Ex-Dokument aktualisieren.
Ex-Inspektion nach DIN EN IEC 60079-17: EMF-relevante Änderungen in Prüfpläne integrieren.
Erlaubnisscheinverfahren für Schweiß-/Induktionsarbeiten; Freimessung, Gasüberwachung, Rückbau temporärer Antennen/Quellen.
Geräteauswahl und Montage nach 60079-14; EMV mit Herstellern abstimmen.
Dokumentation und Audit-Fitness
Gefährdungsbeurteilung: klarer Bezug auf EMFV, EN 50499, TROS EMF; Annahmen und Unsicherheiten benennen.
Prüf- und Messberichte: Datum, Verfahren, Geräte, Kalibrierstatus, Betriebszustände.
Schulungsnachweise: Inhalte, Teilnehmer, Wirksamkeitskontrolle.
Abweichungs- und Maßnahmenmanagement: Fristen, Verantwortlichkeiten, Nachverfolgung.
Wie Sie von einem erfahrenen Partner profitieren
Durchführung von EMF-Screenings, DGUV V3-Prüfungen und EMR/EMSR-Montagen aus einer Hand; VDE-konforme Auslegung, Umbau und Dokumentation.
Schaltschrankbau nach DIN EN 61439 für den gesamten DACH-Raum, inklusive EMV-gerechter Ausführung, Typnachweisen und Prüfprotokollen.
Ex-Installationen und -Inspektionen nach DIN EN IEC 60079-14/-17 sowie Integration in Ihre ATEX- und Permit-to-Work-Prozesse.
Regionale Präsenz entlang der Niederrheinschiene von Bonn bis Krefeld mit kurzfristiger Verfügbarkeit; Abrechnung flexibel per Rechnung oder in kundeneigenen Systemen.
Jahrzehntelange Erfahrung in der dritten Generation und gewachsene Zusammenarbeit mit Industrie- und DAX-Unternehmen sichern Ihnen pragmatische, auditfeste Lösungen.
Quellen und Normen (Auswahl)
EMFV: gesetze-im-internet.de/emfv
EU-Richtlinie 2013/35/EU: eur-lex.europa.eu/eli/dir/2013/35/oj
BAuA – Technische Regeln zur EMFV (TROS EMF): baua.de/EMF
DGUV Vorschrift 3: dguv.de
Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV): gesetze-im-internet.de/betrsichv_2015
TRBS 2131 „Gefährdungen durch elektrischen Strom“; TRBS 1201 „Prüfungen“: baua.de/TRBS
DIN VDE 0105-100 (Betrieb elektrischer Anlagen); DIN VDE 0100-600 (Erstprüfung)
DIN EN 61439 (VDE 0660-600) – Niederspannungs-Schaltgerätekombinationen
DIN EN IEC 60079-14 und -17 (Ex-Installation/Inspektion)
EN 50499 (EMF-Bewertung am Arbeitsplatz)
Hinweis: Dieser Beitrag bietet praxisorientierte Informationen und ersetzt keine Rechts- oder Normenberatung im Einzelfall. Für die konkrete Umsetzung sind die Originaltexte der Regelwerke und Herstellerangaben maßgeblich.