Blitz- und Überspannungsschutz in explosionsgefährdeten Bereichen: Normenkonforme Planung, Umsetzung und Betrieb

Explosionsgefährdete Bereiche (Ex-Bereiche) stellen besonders hohe Anforderungen an den Blitz- und Überspannungsschutz. Für Betreiber von Chemie- und Pharmaanlagen, Raffinerien oder Chemparks sind die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben und die konsequente Umsetzung maßgeblicher Normen nicht nur Pflicht, sondern zentral für Anlagenverfügbarkeit, Arbeits- und Umweltschutz.

Wesentliche Grundlagen:

  • ATEX-Richtlinien: 1999/92/EG (ATEX 153, Anforderungen an den Explosionsschutz am Arbeitsplatz) und 2014/34/EU (Geräte und Schutzsysteme zur bestimmungsgemäßen Verwendung in explosionsgefährdeten Bereichen). In Deutschland u. a. umgesetzt über die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) und die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) inkl. Explosionsschutzdokument.

  • Technische Regeln: TRBS 2152 (Gefährliche explosionsfähige Atmosphäre) – insbesondere Teil 3 zur Vermeidung wirksamer Zündquellen; Vorgaben zur Zoneneinteilung und Zündquellenvermeidung.

  • Blitzschutz-Normen: DIN EN/IEC 62305-1 bis -4 (in Deutschland: VDE 0185-305), inkl. Risikomanagement (Teil 2), Ausführung äußerer und innerer Blitzschutz (Teile 3 und 4) sowie Instandhaltung.

  • Ex-Installationen: DIN EN/IEC 60079-Reihe, v. a. 60079-10-1 (Einteilung von Gas-Ex-Zonen), 60079-14 (Errichten elektrischer Anlagen in Ex-Bereichen), 60079-17 (Prüfung/Instandhaltung), 60079-32-1 (Gefahren durch statische Elektrizität – relevant für das Gesamtschutzkonzept).

  • Elektrotechnische Basis: VDE 0100-540 (Erdung und Potentialausgleich), weitere VDE-Normen zur EMV und Überspannungsschutzkoordination.

  • Betreiberpflichten: Wiederkehrende Prüfungen nach DGUV Vorschrift 3 (ehemals BGV A3) und dokumentierte Gefährdungsbeurteilungen.

Zentrale Botschaft: Ein wirksames Blitzschutzsystem in Ex-Bereichen muss normenkonform geplant, errichtet und instandgehalten werden. Dabei sind Blitzschutz- und Explosionsschutzanforderungen zwingend zu verzahnen, um jede wirksame Zündquelle sicher zu vermeiden.

Von der Risikoanalyse zum Schutzkonzept

Der Startpunkt ist die systematische Risikobewertung nach DIN EN 62305-2 unter Berücksichtigung der Zoneneinteilung nach DIN EN 60079-10-1. Ziel ist die Festlegung der erforderlichen Blitzschutzklasse (I–IV) und der Schutzmaßnahmen für äußeren und inneren Blitzschutz.

Wesentliche Schritte:

1) Erfassung und Zonierung

  • Festlegung der Ex-Zonen (0/1/2) bzw. (20/21/22) für Bereiche mit Gasen/Dämpfen bzw. Stäuben.

  • Identifikation exponierter Anlagenteile: Tanklager, Reaktoren, Abfüllplätze, Rohrbrücken, Messeinrichtungen, Gebäude mit brennbaren Lösemitteln, Prozessleitsysteme.

2) Äußerer Blitzschutz (LPS)

  • Luft- und Fangstangen, Seile oder Maschennetze unter Berücksichtigung des Trennungsabstands s, um Funkenüberschläge in metallische oder leitfähige Anlagenteile innerhalb von Ex-Zonen zu verhindern.

  • Isolierte Blitzschutzsysteme (z. B. mit isolierten Ableitungen oder nichtleitenden Masten), wenn der geforderte Trennungsabstand baulich nicht eingehalten werden kann.

  • Gezielte Ableitung in eine niederohmige Erdungsanlage (Ring- und Maschenerder, Fundamenterder) mit ausreichend dimensionierten Ableitungen und korrosionssicherer Ausführung. Bei vorhandener kathodischer Korrosionsschutzanlage sind Potentialsteuerung und Entkopplung zu berücksichtigen.

3) Innerer Blitz- und Überspannungsschutz

  • Blitzstrom- und Überspannungs-Schutzeinrichtungen (SPD) abgestuft und koordiniert: Typ 1 am Speisepunkt (Hauptverteilung), Typ 2 in Unterverteilungen, Typ 3 nahe empfindlicher Verbraucher.

  • Schutz von Mess-, Steuer- und Regeltechnik (EMSR): galvanische Trennungen/intrinsisch sichere Stromkreise (Ex i), daten- und signalweg-spezifische SPD, Schirm- und Potentialführung nach EMV-Grundsätzen.

  • Ex-geeignete Komponenten: In Ex-Zonen dürfen nur entsprechend zertifizierte Betriebsmittel eingesetzt werden; SPD und Funkenstrecken müssen für die jeweilige Zone zugelassen sein – sofern technisch möglich, sind SPD außerhalb der Ex-Zone zu platzieren.

4) Potentialausgleich und Erdung

  • Haupt- und zusätzlicher Potentialausgleich aller leitfähigen Anlagenteile, Rohrleitungen, Tanks, Kabeltrassen sowie temporärer Verbindungen (z. B. Tanklastwagen, IBCs) mit definierter Erdkontaktierung.

  • Vermeidung von Funkenbildung: Keine unkontrollierten Potentialunterschiede; Funkenstrecken oder Isolierverbindungen nur mit Ex-zugelassenen Lösungen überbrücken.

  • Für brennbare Flüssigkeiten zusätzlich Maßnahmen gegen statische Aufladung (Erdung/Verbindung vor und während des Transfers).

5) EMV und Systemintegration

  • Leitungsführung mit ausreichenden Abständen zu Ableitungen; konsequente Schirmführung, möglichst einseitige oder definierte beidseitige Erdung je nach Signalkonzept.

  • Einbindung der Blitzschutz- und Erdungsanlage in das Gesamterdungssystem des Werks; Vermeidung von Erdschleifen in sensiblen Messkreisen.

  • Dokumentation in Stromlaufplänen, Erdungs- und Blitzschutzplänen; Schnittstellen zu PLS/DCS, Schaltschrankbau und Feldinstrumentierung klar definieren.

6) Prüfung, Instandhaltung und Monitoring

  • Erstprüfung durch befähigte Personen; wiederkehrende Sicht- und Messprüfungen gemäß DIN EN 62305-3/-4 und DIN EN 60079-17 – Intervalle abhängig von Blitzschutzklasse, Ex-Zone, Umgebungsbedingungen und Betreiberanforderungen.

  • Nach jedem Blitzeinschlag, Umbau oder Ereignis mit potenzieller Beeinflussung der Schutzmaßnahmen: außerordentliche Prüfung.

  • Optional: Zähler/Monitoring für Blitzereignisse, dokumentierte Inspektionsrouten, digitale Prüfprotokolle (z. B. im Rahmen DGUV V3).

Praxisnaher Tipp: Konzipieren Sie Blitzschutz, Überspannungsschutz, Potentialausgleich und EMSR-Integration als ein zusammenhängendes System. Einzelmaßnahmen ohne Koordination führen häufig zu Lücken – gerade an Schnittstellen zwischen Gebäude, Feldinstrumentierung und Prozessleittechnik.

Was passiert ohne adäquaten Blitzschutz?

Die Folgen unzureichender oder nicht koordinierter Schutzmaßnahmen sind vielfältig und reichen von unmittelbaren Sicherheitsrisiken bis zu massiven wirtschaftlichen Schäden:

  • Sicherheitsrisiken: Direkter Blitzeinschlag oder Funkenüberschläge können zündfähige Atmosphären in Ex-Zonen entzünden. Auch induzierte Überspannungen in Mess- und Steuerkreisen können Zündquellen darstellen.

  • Anlagenstillstände: Überspannungen zerstören SPS-Baugruppen, Netzteile, Frequenzumrichter, Analysatoren und Sensorik. Produktionslinien werden gestoppt; Wiederanlauf dauert, Validierungen (z. B. in der Pharma) verzögern die Rückkehr in den Regelbetrieb.

  • Qualitäts- und Compliance-Risiken: Datenverluste, Fehlmessungen, ungültige Chargen; behördliche Auflagen und Versicherungsanforderungen werden verletzt.

  • Umwelt- und Sachschäden: Tankleckagen, Brände, Freisetzung von Gefahrstoffen mit entsprechenden Haftungsfolgen.

  • Kosten und Reputation: Schadenhöhenszenarien reichen schnell in den siebenstelligen Bereich; Lieferverpflichtungen und Marktvertrauen sind gefährdet; Bußgelder bei Pflichtverletzungen (z. B. aus BetrSichV) sind möglich.

Kurzum: Ein normenkonformer Blitz- und Überspannungsschutz ist integraler Bestandteil des Explosionsschutzes – nicht nur ein „Nice-to-have“, sondern eine Grundvoraussetzung für sicheren und wirtschaftlichen Betrieb.

Praxisbeispiele aus Chemie und Pharma – individuelle Umsetzung und Betrieb

Beispiel 1: Tanklager im Chempark (Zonen 1/2)

Ausgangslage: Ein Tanklager mit brennbaren Lösemitteln, Rohrbrücken und Verladeplätzen. Das bestehende Blitzschutzsystem war nicht auf die geänderte Anlagengeometrie angepasst; dokumentierte Trennungsabstände fehlten, die SPD-Struktur war uneinheitlich.

Umsetzung:

  • Risikoanalyse nach DIN EN 62305-2 und Überprüfung der Zoneneinteilung nach DIN EN 60079-10-1.

  • Einsatz eines isolierten äußeren Blitzschutzes mit nichtleitenden Masten und isolierten Ableitungen, um den Trennungsabstand zu sensiblen Anlagenteilen sicher einzuhalten.

  • Meshed Erdungssystem mit definierten Potentialausgleichspunkten; Berücksichtigung der kathodischen Korrosionsschutzanlage.

  • Überspannungsschutzkoordination: Typ 1 an der Einspeisung, Typ 2 in Feldverteilungen, daten- und signalweg-spezifische SPD für Füllstandsmesser, Gaswarnanlagen und Ventilinseln; wo möglich Platzierung außerhalb der Ex-Zone bzw. Einsatz Ex-zertifizierter Komponenten.

  • EMV-gerechte Schirm- und Potentialführung; galvanische Trennung zu empfindlichen Messkreisen.

  • Prüf- und Wartungskonzept: jährliche Sichtprüfung, turnusmäßige Messprüfungen, Ereignisprüfung nach Gewitter; Integration in das Explosionsschutzdokument.

Ergebnis: Nachweislich reduzierte Zündquellengefahr, deutliche Abnahme störungsbedingter Ausfälle, verbesserte Versicherungsbedingungen durch dokumentierte Wirksamkeit.

Beispiel 2: Pharma-Produktion mit Lösungsmittelhandling (Zone 2)

Ausgangslage: Mehrgeschossige Produktion mit Reinräumen, Laboren und einem Lösungsmittel-Lagerbereich. Hohe Anforderungen an Verfügbarkeit und Datenintegrität, Validierungen nach GMP.

Umsetzung:

  • Festlegung Blitzschutzklasse II; Kombination aus konventionellem LPS für Gebäude und isolierten Ableitungen für den Ex-nahen Lagerbereich.

  • Koordinierter Überspannungsschutz bis an die Geräteebene: SPD Typ 1/2 in Energieverteilungen, Typ 3 an kritischen SPS-/SCADA-Knoten; spezifischer Schutz für Ethernet/Profinet, Analogeingänge (4–20 mA) und seriellen Datenverkehr.

  • Für Ex-nahe Schaltschränke: möglichst Installation in sicherem Bereich, ansonsten Verwendung Ex-geeigneter Gehäuse/Komponenten; saubere Trennung von Ex i und nicht-Ex-i-Stromkreisen.

  • Redundanter Potentialausgleich, definierte Erdungspunkte, klare Kennzeichnung und Dokumentation für GMP-Audits.

  • Schulung des Betriebspersonals zu An- und Abklemmvorgängen, Erdung mobiler Behälter, Freigabeprozessen nach Gewitterereignissen.

Ergebnis: Keine ungeplanten Stillstände durch Überspannungen in zwei Gewittersaisons, bestandenes Audit mit positivem Verweis auf den dokumentierten Schutzansatz.

Vorgehensmodell für Ihr Werk:

  • Assessment: Prüfung bestehender Schutzmaßnahmen, Sichtung Explosionsschutzdokument, Erfassung der Ex-Zonen und kritischen Anlagenteile.

  • Engineering: Risikoberechnung, Festlegung Blitzschutzklasse, Erdungs- und Potentialausgleichskonzept, SPD-Koordination, EMV-Design, Schnittstellen zu EMSR/PLS.

  • Umsetzung: Montage äußerer Blitzschutz, Errichtung/Ergänzung der Erdungsanlage, Schaltschrank- und Feldinstallation, Funktions- und Wirksamkeitsprüfungen.

  • Betrieb: Wiederkehrende Prüfungen (DGUV V3, 62305, 60079-17), Ereignisprüfungen, Aktualisierung der Dokumentation bei Änderungen, optional Monitoring.

Unser Leistungsprofil für Industrie, Chemparks, Pharma und Raffinerien:

  • Blitzschutz, Erdung, Potentialausgleich und Überspannungsschutz aus einer Hand – von der Risikoanalyse bis zur Abnahme.

  • EMSR-Montagen, Schaltschrankbau (deutschsprachiger Raum) und DGUV V3-Prüfungen; Abrechnung über Rechnungslegung oder kundenspezifische Systeme.

  • Jahrzehntelange Erfahrung als familiengeführtes Unternehmen in dritter Generation; vertraut mit den Anforderungen von DAX-Unternehmen und explosionsgefährdeten Bereichen.

  • Operativ stark in der Niederrheinschiene von Bonn bis Krefeld – mit eingespielten Teams und kurzen Reaktionszeiten.

Fazit: In explosionsgefährdeten Bereichen ist Blitz- und Überspannungsschutz kein isoliertes Gewerk, sondern ein integraler Bestandteil Ihres Explosionsschutzkonzeptes. Wer Normen konsequent umsetzt, Maßnahmen miteinander verzahnt und den Betrieb durch regelmäßige Prüfungen absichert, minimiert Zündgefahren, schützt Menschen und Umwelt und sichert die Verfügbarkeit seiner Anlagen. Wenn Sie Ihr bestehendes Schutzkonzept überprüfen oder neu aufsetzen möchten, unterstützen wir Sie gerne mit Erfahrung, Systemkompetenz und einer Umsetzung, die zu Ihren Prozessen passt.

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